Triggerpunkt Religion!?
Bis vor kurzem dachte ich bei „Triggerpunkten“ nur an Physiotherapie – verspannte Muskeln, die bei Berührung starke Reaktionen auslösen. Doch seit dem Bestseller von Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser wissen wir: Triggerpunkte gibt es auch gesellschaftlich. Sie betreffen sensible Bereiche wie soziale Gerechtigkeit, Rassismus, Klima oder Migration. Solche Themen lösen oft hitzige Debatten aus, weil sie tief verankerte Überzeugungen berühren.
Genau diese schmerzhaften Konflikte machen die von midi, EKD und Diakonie Deutschland initiierte Kampagne „VerständigungsOrte“ so erfolgreich. Denn die Menschen sehnen sich nach Verständigung – weit mehr, als die lauten Extrempositionen vermuten lassen. Einige sprechen von einer Spaltung der Gesellschaft, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Doch die breite Mehrheit sehnt sich nach Verständigung und Versöhnung.
Deshalb widmen wir unsere diesjährige Herbsttagung am 18. November dem Thema: „Auf der Suche nach einem neuen Miteinander – eine Gesellschaft im Trigger-Modus.“
Man könnte hier fragen: Spielt sich damit nicht der Bock zum Gärtner auf? Sind Religion und Kirche denn nicht selbst Triggerpunkte par excellence? Für viele ja, denn laut der letzten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) empfinden 44 Prozent der Deutschen Religion als eher schädlich und 57 Prozent fühlen sich unwohl, wenn andere zu religiös auftreten. Kirche und Glaube werden oft als eng und übergriffig wahrgenommen, von Betroffenen kirchlichen Missbrauchs ganz zu schweigen. Und ausgerechnet wir wollen Verständigung fördern?
Die Antwort ist: Ja! Denn Religion kann weit mehr sein als ein Brandbeschleuniger. Sie hat das Potenzial, Triggerpunkte zu entschärfen. Drei Thesen dazu:
1. Religion kann ideologisch und eng sein – sie kann aber auch Brücken bauen
Die KMU zeigt deutlich: Für viele Menschen hat Religion ihre Relevanz verloren. Nur 13 Prozent der Bevölkerung fühlen sich noch kirchlich-religiös, während über die Hälfte säkular eingestellt ist. Ein Grund dafür ist, dass Religion oft als ideologisch und eng wahrgenommen wird. In dieser Form wird Religion leicht zum Triggerpunkt, weil sie Menschen Denkverbote auferlegt und Vorschriften macht, statt ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.
Doch Religion hat auch das Potenzial, das Gegenteil zu bewirken. Sie kann helfen, Triggerpunkte zu entschärfen und echte Verständigung zu ermöglichen, weil sie sich auf eine Größe bezieht, die „höher ist als all unsere Vernunft“ – und damit auch höher als unsere festgefahrenen Standpunkte und Positionen.
Ein solcher Glaube lässt Raum für Zweifel und Fragen und schafft eine gesunde Distanz zu sich selbst. Er kann Brücken bauen, indem er Menschen dort abholt, wo sie stehen, und ihnen eine tiefe, sinnstiftende Perspektive auf das Leben eröffnen – eine Perspektive, die über Ideologien hinausgeht und echten Wandel möglich macht.
2. Religion gilt für viele als weltfremd – doch gerade darin liegt ihr Potenzial
Viele Menschen empfinden Religion als weltfremd – oder als etwas, das in einer modernen, individualistischen Gesellschaft keinen Platz mehr hat. Doch genau hier könnte ein wichtiger Schlüssel liegen: Religion provoziert, weil sie fordert, über das eigene Ego hinauszudenken.
Während der Zeitgeist oft Selbstverwirklichung und das „Ich zuerst“ predigt, ruft der Glaube zu Solidarität, Demut und Gemeinschaft auf – Werte, die in dieser Welt oft fremd und doch entscheidend sind, um Ungerechtigkeit und Streit zu überwinden und auch da noch Gespräche zu führen, wo andere längst die Geduld verloren haben.
Gerade in ihrer „Weltfremdheit“ haben Religion und Glauben das Potenzial, uns aus unserer Komfortzone herauszuholen und Verhärtungen aufzubrechen, die sonst zu Triggerpunkten werden.
3. Soziale Dienste sind wertvoll – aber um die Triggerpunkte nachhaltig zu lösen, brauchen wir spirituelle Tiefe
Die Kirche wird völlig zu Recht für ihre sozialen Angebote geschätzt – auch von denen, die mit Religion wenig anfangen können. Doch was passiert, wenn sie das Religiöse beiseite schiebt und sich nur noch darauf reduziert?
Dann fehlt ihr eigentlicher Antrieb. Denn die sozialen Dienste der Kirche wurzeln in der Überzeugung, dass jeder Mensch als Kind Gottes unendlich wertvoll ist. Ohne diese Grundlage verlieren wir den tieferen Sinn, der es ermöglicht, den Ursachen von Armut und Ungerechtigkeit wirklich auf den Grund zu gehen.
Der christliche Glaube bietet nicht nur praktische Hilfe, sondern auch Sinn, Trost und Orientierung – weit über das Materielle hinaus. Ohne diese Dimension würde die Kirche zu einer weiteren Dienstleistungsorganisation, kaum noch unterscheidbar von staatlichen Einrichtungen. Doch die Kirche ist viel mehr, weil sie nicht nur praktisch hilft, sondern auch spirituelle Tiefe vermittelt.
Fazit
Religion und Glaube sind nicht nur Triggerpunkte, weil sie polarisieren. Gerade durch ihre Tiefe und spirituelle Dimension können sie auch helfen, gesellschaftliche Triggerpunkte zu überwinden. Sie bieten die Chance, über gesellschaftliche Gräben hinweg Brücken zu bauen und den Blick auf das Größere, das Verbindende zu lenken.
Es wäre ein Fehler, Religion als überflüssiges Relikt abzutun – sie könnte genau das Werkzeug sein, das wir in einer getriggerten Gesellschaft brauchen.
Lust auf mehr?
Dann laden wir Sie herzlich zu unserer Herbsttagung „Auf der Suche nach einem neuen Miteinander – eine Gesellschaft im Trigger-Modus“ ein. Kommen Sie vorbei und diskutieren Sie mit!