Wie kann das christliche Profil in der Diakonie bewahrt und geschaffen werden?

Von Louisa Gallander und Dr. Sigurd Rink

Interview

mit Dr. Sigurd Rink, Referent für diakonische Profilbildung bei midi

Hallo Sigurd! Hast du in letzter Zeit einen persönlichen „Diakonie-Moment“ erlebt, bei dem du dir dachtest – gerade deshalb will ich hier arbeiten?

Sigurd: Ich durfte in den vergangenen vier Jahren die Sommerreisen unseres Diakonie-Präsidenten mitgestalten und erleben. Da haben wir bestimmt 50 Träger quer durch das Land besucht. Bleibend in Erinnerung ist mir da ein Besuch bei der Augustinum Gruppe in München, wo wir erleben durften, was dort alles für nachhaltige Entwicklung geschieht. Wie Energie neu erzeugt wird, Foodwaste bekämpft wird. Die Krönung war, dass eine Mitarbeiterin eine eigene, nachhaltige Dienstkleidungskollektion entwickelt hat. Da habe ich nur noch gestaunt!

Du arbeitest seit vielen Jahren in leitenden Funktionen bei diakonischen Trägern. Wo siehst du die größten Herausforderungen für die diakonische Arbeit, gerade angesichts der aktuellen politisch-gesellschaftlichen Lage?

Sigurd: Das Drama ist, dass durch die neue sicherheitspolitische Lage seit 2022 enorme Gelder und neue Schulden in die Bündnisverteidigung gesteckt werden müssen. Diese Mittel fehlen an allen Ecken und Enden. In der Nachhaltigkeitsentwicklung. In der Entwicklungszusammenarbeit. Und eben in den hohen Bedarfen für die soziale und diakonische Arbeit in Kitas, Schulen, Jugendhilfe, Krankenhäusern und vielem mehr. Es fehlt nicht an klugen und innovativen Ideen, sondern schlicht an Mitteln für die Umsetzung.

Es fehlt nicht an klugen und innovativen Ideen, sondern schlicht an Mitteln für die Umsetzung.

Bei midi kümmerst du dich zukünftig auch um das Arbeitsfeld der diakonischen Profilbildung. Was sind hier aus deiner Sicht die wichtigsten Trends und Fragen?

Sigurd: Ich erlebe viele diakonische Träger als kerngesund, stabil und auch wachsend. Diakonie und Kronenkreuz haben sich ein enormes Renommee erarbeitet. Auch durch die harte und anstrengende Arbeit Tag für Tag. Gleichzeitig säkularisiert sich die Gesellschaft massiv. Da gibt es Träger, die haben vielleicht noch 20 Prozent Mitarbeitende mit Kirchenzugehörigkeit. Da stellt sich doch fast automatisch die Frage, wie dann ein christliches, diakonisches Profil im Alltag bewahrt oder geschaffen werden kann. Qualifizierte Seelsorge, Orientierung in einer schwierigen Lebenslage, Begleitung an den Knotenpunkten des Lebens. Das alles braucht es in einer diakonischen Einrichtung.

Qualifizierte Seelsorge, Orientierung in einer schwierigen Lebenslage, Begleitung an den Knotenpunkten des Lebens.

Du warst unter anderem der erste hauptamtliche Bischof für die Seelsorge in der Bundeswehr. Was hast du aus dieser Zeit für deinen weiteren Lebens- und Berufsweg mitgenommen?

Sigurd: Eine enorme Wertschätzung für die Menschen, die unter großen persönlichen Entbehrungen am scharfen Ende moralischer Entscheidungen wirken und arbeiten. Der Sanitäter, der triagieren muss, ob im Irak oder in der Ukraine. Der Offizier, der einen Einsatzbefehl gibt, nicht wissend, ob seine Soldaten heil zurückkommen. Und der diese moralische Last, diese Verwundung oft sein Leben lang mit sich trägt. Die Seelsorgerin, die sich all dem Tag für Tag aussetzt. All das nötigt mir höchsten Respekt ab.

Du hast nicht nur in der Diakonie gearbeitet, sondern auch mehrere Jahre in der Gemeindeentwicklung, unter anderem mit Konzepten wie „Wachsen gegen den Trend“. Was braucht es heute für eine vitale Gemeinde?

Sigurd: Das Geheimnis besteht in einem sehr guten Zusammenspiel von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen. Ich habe im Propstamt alle meine 222 Gemeinden visitiert und kann sagen, dass die kirchenleitende Kernaufgabe das Finden, Begleiten und Fördern von Pfarrerinnen, Diakonen, Musikerinnen ist. Die Gemeinde entwickelt idealtypisch aus sich heraus befähigte Ehrenamtliche, die dann gefördert werden. Irgendwie werde ich die Vision von Fabian Vogt nicht los, es könne sogar eine Gemeinde ohne Pfarrer geben, selbstbestimmt, selbstbewusst, befähigt.

Die lustigste Erfahrung habe ich mal in einem kleinen Kirchspiel am Mittelrhein gemacht. Während fast alle Gemeinden sich ganz tolle Pfarrer wünschten, sozusagen eierlegende  Wollmilchsäue, sagten dort die Kirchenvorsteherinnen, dass der Pfarrer sie hauptsächlich in Ruhe lassen sollte. Das war gar nicht abschätzig gemeint, sondern es betonte die enorme ehrenamtliche Kraft dieser Gemeinde. Das fand ich und finde ich cool und nachdenkenswert.

Danke für das Gespräch!

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Foto von Dr. Sigurd Rink

Dr. Sigurd Rink

Referent für diakonische Profilbildung
030 65211 1381